Süsse Verlockung

Eine Blüte muss bestäubt werden, damit sie Samen produzieren kann. Alle Blütenpflanzen haben im Verlaufe der Evolution besondere Tricks entwickelt, wie sie am effektivsten bestäubt werden können.

Kurze Anatomie einer Blüte

Blüten bestehen aus männlichen und weiblichen Organen. Die Blütenblätter umgeben als Schauapparat die männlichen Organe (Staubblätter mit Pollen) und die weiblichen Organe (Fruchtknoten mit Narbe). Wenn bei der Bestäubung Pollenkörner vom Staubblatt auf die Narbe des Fruchtknotens übertragen werden, kommt es zur Befruchtung und ein Samen entsteht.

Die Bestäubung erfolgt fast immer innerhalb einer Pflanzenart und meist verhindern bestimmte Mechanismen die Selbstbestäubung der Pflanzen. Die meisten Regenwaldpflanzen werden von Insekten, Vögeln oder Säugern bestäubt. Nektar oder eiweissreicher Pollen lockt die Bestäuber an und leuchtende Blütenblätter, aber auch starke Düfte weisen auf die Nahrungsquellen hin.

Mit List und Tücke

Der tropische Venusschuh (Paphiospedilum callosum) ist eine Pflanzengattung der Orchideen. Die Gattung wächst von Nepal über Indien, dem südlichen China, Thailand, Malaysia bis hin zu den Philippinen, Borneo, Sumatra und Neuguinea. Es werden etwa 100 Arten und Unterarten anerkannt. Der Venusschuh wird meist von einer Biene oder Schwebfliege bestäubt. Linien dirigieren das Insekt zur Blütenmitte, wo es auf dem glatten Blatt in eine Kesselfalle rutscht. Der Ausweg führt über Härchen an der Rückseite des Kessels, vorbei an Narbe und Pollensäcken. Hier bleiben Pollenpakete am Insekt kleben, die es zur nächsten Blüte bringt. 

Dank einer List zur Bestäubung: Der Venusschuh aus Südostasien (links © Dalton Holland Baptista, rechts © Kurt Lane).

Fledermausblumen

Früher glaubte man, dass die Bestäubung von Blüten durch Fledermäuse eher eine kuriose Randerscheinung der Tieflandtropenwälder ist. Heute weiss man, dass die Fledermausbestäubung ein bedeutender Bestäubungsmodus von tropischen Pflanzen darstellt.

Die Blüten von fledermausbestäubten Pflanzen sind oft weiss oder cremefarben, seltener purpur oder rötlich gefärbt. Damit die Fledermäuse die Blüten im Flug gut erreichen können, sind sie exponiert, meist glockig oder trichterförmig und haben robuste Staubblätter mit langen Filamenten.

Blüten besuchende Fledermäuse haben eine lange Zunge mit Pinselspitze zur Aufnahme von Pollen und Nektar. Diese Fledermäuse können im Schwirrflug trinken.

Fledermausblumen wie Pachira aquatica öffnen sich in der Dämmerung. Die Blüten locken die Fledermäuse mit einem scharfen, sauren Geruch an und sind für die Tiere gut zugänglich. Während die Fledermaus trinkt, wird sie von den Staubblättern mit Pollen eingepudert (© meshachpierre, Guyana).

Gegenleistung gefordert

Blüten bieten Kolibris köstlichen Nektar nicht aus Nettigkeit an. Sie wollen bestäubt werden. Verschiedene Arten von Kolibris haben unterschiedliche Schnabelformen. So können nur bestimmte Vögel von bestimmten Blüten trinken. Diese gemeinsame Entwicklung nenn man Koevolution. 

Von Vögeln bestäubte Blumen sind meist rot oder leuchtend orange gefärbt. Der süsse Nektar ist recht wässrig und eiweissarm, sodass nektarfressende Vögel ständig neue Blüten besuchen müssen. Der mit dem Nektar aufgenommene Pollen ist eine wichtige Eiweissquelle. 

Wenn ein Kolibri eine Blüte besucht, dann streift er die männlichen Blütenteile und wird selbst mit Pollen bedeckt. Wenn er zu der nächsten Blüte schwirrt, reibt sich der Pollen auf die weiblichen Blütenteile der neuen Blüte ab. So wird die Blüte befruchtet.

Violettkronennymphe im Urwald von Costa Rica (© Ingo Arndt).

Der Vorausgesagte

Eine aussergewöhnliche Orchidee wurde 1820 auf Madagaskar entdeckt: Der Stern von Madagaskar (Angraecum sesquipedale). Die Pflanze bringt weisse sternförmige Blüten hervor, die in der Nacht duften. Das einmalige ist jedoch ein bis 40 cm langer Sporn, an dessen Ende der Nektar sitzt.

Zur Entdeckungszeit machte sich niemand Gedanken, wie eine solche Blüte funktionieren könnte. Erst Charles Darwin untersuchte sehr detailliert zum ersten Mal die komplizierten Wechselwirkungen zwischen Orchideen und ihren Bestäubern. Darwin war klar, dass es auf Madagaskar ein Insekt geben müsse, das in der Lage wäre, Nektar aus dem 40 cm langen Sporn zu saugen. Er wagte 1860 sogar eine Voraussage: es müsse ein langrüsseliger nachtfliegender Schwärmer sein. Aber ein solch monströser Schmetterling war damals nicht bekannt. 

Erst 40 Jahre später wurde der Bestäuber dieser Pflanze gefunden und war schliesslich die Bestätigung für Darwins Theorie. Bis heute heisst der Falter Xanthopan morgani preadicta (Lateinisch praedictus, der Vorausgesagte).

Der Stern von Madagaskar links (© Fabio Olmos) mit seinem Bestäuber rechts (© Dr. Lutz Wasserthal).