Mit grünen Gummistiefeln durch den Regenwald

Bianca Toedtli von GREEN BOOTS sprach mit dem Biologen Dr. Stefan Rother, der mit seinen Live-Reportagen zum Thema Regenwald schon viele Menschen begeistert und berührt hat. In diesem Interview erzählt er, wie er sich durch den Regenwald bewegt, wie er seine Motive vor die Linse bekommt und inwiefern die Zerstörung des Regenwalds mit unserem Konsum zu tun hat.

Erinnerst du dich an deine erste Reise in den Regenwald? Was hat dich damals besonders beeindruckt?

Ja, das war 1990 in Costa Rica und ich hatte als junger Biologiestudent die Vorstellung, dass es im Regenwald nur so vor Tieren wimmelt und ich schnell tolle Objekte vor meine Kameralinse bekomme. Das war aber gar nicht so, ganz im Gegenteil. Ich fand die ersten Tage im Dschungel reichlich enttäuschend. Die Tiere sind extrem gut getarnt und sitzen oft sehr still. Das langsame Faultier, die perfekt gemusterte regungslose Lanzenotter, der Schmetterling mit gläsernen Flügeln oder Insekten, die aussehen wie Blätter, Dornen oder Äste sind nur einige Beispiele. Man muss seine Augen extrem schärfen, um die Tiere zu entdecken. Auch heute noch werde ich immer wieder überrascht und muss oft schmunzeln über die Künstler der Tarnung.  

Was bewegt dich heute noch, wenn du Zeit im Regenwald verbringst? 

Durch den Regenwald zu laufen ist für mich wie Meditation. Fernab von Handy-Empfang, Strassengeräuschen und Zeitstress taucht man in eine Wunderwelt voller Überraschungen und unglaublicher Zusammenhänge zwischen Tieren und Pflanzen ein. Mich bewegt sehr, wenn ich zum Beispiel durch einen nahezu unberührten Primärwald in Costa Rica laufe, den wir vor über 30 Jahren schützen konnten. Wenn ich dann vor einem 400 Jahre alten riesigen Kapokbaum stehe, erfassen mich gleichzeitig Ehrfurcht und Freude und ich bekomme Gänsehaut. 

Was war die gefährlichste Situation für dich bisher im Regenwald? 

Ehrlich gesagt hatte ich bislang glücklicherweise kaum gefährliche Situationen. Als Fussgänger oder Fahrradfahrer in einer Grossstadt wie Zürich unterwegs zu sein, finde ich gefährlicher als kilometerweit durch den Regenwald zu laufen. Ich bin auch oft nachts im Dschungel unterwegs, da es dann viel zu sehen gibt. Am meisten Respekt habe ich vor den Kugelschussameisen, deren Stich höllische Schmerzen über 24h verursacht und danach wieder ohne Langzeitfolgen abklingt. Vor zwei Jahren bin ich von einer ähnlichen Art gestochen worden und das war sehr unangenehm. Aber am nächsten Tag war alles wieder gut. 

Was war die schönste Situation für dich bisher im Regenwald? 

Davon gibt’s natürlich unzählige. Zum Beispiel haben wir einen total abgeholzten Talkessel an der costaricanischen Pazifikküste über 25 Jahre mit der einheimischen Bevölkerung, Schulen und Universitäten wieder aufgeforstet. Dann kamen nach und nach immer mehr Arten in den Wald zurück und im letzten Jahr konnten wir den seltenen kleinen Ameisenbär wieder in diesem jungen Wald begrüssen. Das freut einen sehr. Es sind oft auch die kleinen Erlebnisse, die einen schmunzeln lassen. Z.B. wenn sich ein wunderschöner riesiger blauer Morphofalter auf deinem verschwitzten T-Shirt niederlässt. Quasi als Begrüssung im Wald. Dabei sind es nur die leckeren Mineralien, die ihn angelockt haben….

Bist du allein unterwegs? Was machst du, wenn du dich verläufst? 

Nein, in der Regel bin ich mit lokalen Partnern unterwegs. In einem für mich neuen Waldgebiet kann auch ich mich rasch verlaufen, da man den Sonnenstand durch die dichten Baumkronen kaum erkennen kann und die Vegetation sehr ähnlich ist. Aber auch in mir bekannten Waldgebieten bevorzuge ich es, zumindest zu zweit zu sein, denn man kann sich immer mal verletzen, den Fuss verstauchen oder ähnliches.  

Einer der stark bedrohten Grossen Soldatenaras im Landeanflug. Stefan Rother unterstützt mit seinem deutschen Regenwaldverein Tropica Verde den Schutz dieser faszinierenden Vögel (©Stefan Rother, www.faunity.ch).

 

Mit welchem Schuhwerk bist du am liebsten im Regenwald unterwegs? 

Natürlich mit grünen Gummistiefeln! Sie müssen gut passen, denn meine Wanderungen sind oft lang. Ausserdem sollten sie bis zu den Knien reichen, da man immer wieder durch Bäche wandert. Und eine gute Höhe schützt auch vor den kleinen Vipern, die gut getarnt auf dem Boden liegen können. 

Was war das Verrückteste, das du auf dich genommen hast, um ein Motiv vor die Linse zu bekommen?

Das wichtige bei der Naturfotografie sind Geduld und Spontaneität. Ich habe schon Tage in einem selbst gebauten Beobachtungsstand aus Blättern und Ästen verbracht, um einen seltenen Regenwaldvogel beim Hochzeitstanz zu fotografieren. Alles ist eingestellt, die richtige Linse drauf, der Vogel ist zu hören, die lästigen Blutegel und Moskitos werden ignoriert, aber er lässt sich nie blicken. Und dann baut man alles ab, hat seine Kamera eingepackt und trottet enttäuscht zurück. Und genau dann sitzt er 3 m vor einem, im strömenden Regen, und startet seine schönste Show. Da gilt es dann schnell und leise das Equipment wieder auszupacken, egal ob die Kamera die Regengüsse überlebt oder nicht…. 

Du machst Vorträge und Regenwaldshows. Was ist dein Eindruck: wie sehr sind die Schweizer und Schweizerinnen über die Zusammenhänge der Regenwaldzerstörung und unserem Konsum informiert? 

Gerade die Palmöldiskussion und ihre Folgen für Regenwälder ist in der Schweiz bekannt, es gab ja sogar eine Abstimmung dazu. Aber da man das alles aus der Ferne beurteilen muss, ist es für den einzelnen oft schwierig, sich das echte Ausmass vor Ort vorzustellen. Erst in den Ländern wird einem vieles bewusst. Dann versteht man plötzlich, dass der „Mensch des Waldes“, der Orang-Utan, keinen Platz mehr hat, da sein Lebensraum über hunderte Quadratkilometer den Ölpalmenplantagen gewichen ist. Jeder kennt und liebt die leckeren Bananen und Ananas. Aber die Zuhörer und Zuhörerinnen sind überrascht, wenn sie verstehen, wie viel Gift in diesen riesigen Monokulturen in den Tropenländern notwendig ist, um die süssen Früchte günstig in unsere Märkte zu bringen. Daher ist es wichtig, immer wieder Aufklärungsarbeit zu leisten und es entstehen oft lebendige Diskussionen zum Thema.  

Wie könnte man das Wissen um die Bedeutung der Regenwälder fördern?

Ich glaube, es ist einfach wichtig, den Menschen die Fakten authentisch, spannend und wissenschaftlich fundiert näher zu bringen. Das kann über alle Medien erfolgen. Ich persönlich mache die Erfahrung, dass Live-Reportagen einen entscheidenden Vorteil haben: Sie regen zur direkten Diskussion und Fragen an, die nach der Show vertieft werden können. Wenn man die Ökologie des Regenwalds ein bisschen besser verstanden hat, werden einem die Folgen seiner Zerstörung umso klarer. Gerade in unserer globalen Klima-Diskussion spielen die Wälder eine bedeutende Rolle. Aktuelle Studien zeigen, dass der Amazonas mittlerweile mehr Kohlendioxid als Sauerstoff entwickelt. Das berührt mich und meine ZuhörerInnen von jung bis alt. Eine wirklich dramatische Entwicklung, die nicht nur für Brasilien gilt. Die globale Lunge hustet immer stärker!

Bei welchen Fakten staunen die ZuhörerInnen am meisten bei deinen Vorträgen? 

Als Biologe führe ich den Zuhörern die Tricks, Tarnkünste, Besonderheiten und die unglaublichen Symbiosen zwischen Tieren und Pflanzen farbenprächtig mit vielen Fotos, Videos und Sounds vor. Fasziniert sind die ZuhörerInnen z.B. wenn ich über das Leben der streitsüchtigen Kolibris als wichtige Regenwaldbestäuber berichte, wenn sie selbst die gut getarnten Tiere auf den Fotos suchen müssen, die unglaubliche Symbiose zwischen Faultier und Ameisenbaum verstehen oder den faszinierenden Lebenslauf eines bunten Regenwaldfrosches mitverfolgen. Es ist das Mosaik vieler Raritäten und Besonderheiten aus einer für uns fremden Welt, die die ZuhörerInnen in Bann zieht.  

Was ist Deine Meinung: Welche Art von Schutz braucht der Regenwald? Schutzgebiete? Nachhaltige Nutzung? Welche Faktoren machen ein Regenwaldschutzprojekt zum Erfolg?

Alle Massnahmen von Artenschutz über den Erhalt von Waldschutzgebieten bis hin zur Wiederaufforstung haben keine Nachhaltigkeit, wenn es nicht gelingt, die lokale Bevölkerung voll zu integrieren. Ein wesentlicher Bestandteil der Regenwaldarbeit muss daher die Umweltbildung sein. Diese fängt im Kindergarten und in den Schulen an und bezieht alle Altersgruppen bis hin zu den Senioren ein. Es müssen den Menschen auch Gelegenheiten gegeben werden, im Einklang mit dem Schutz der Wälder Geld zu verdienen, von Natur-Guides über Förster, Wächter, Baumschulenbetreiber, Ökobauern etc.. Wenn es gelingt, diese Aktivitäten miteinander zu kombinieren, hat der Regenwald vor Ort eine echte Chance.

Was möchtest Du unseren Lesern und Leserinnen mitgeben? 

Augen auf beim Einkauf! Es gibt viele Angebote und wir dürfen wählen. Dazu müssen wir uns aufklären, welche Produkte dem Regenwald nützen und welche verstärkt zu seiner Zerstörung beitragen. Wir Konsumenten und Konsumentinnen haben mehr Power als wir denken.

Stefan Rother bei der Arbeit (©Stefan Rother, www.faunity.ch).

Zur Person

Stefan Rother ist in Frankfurt am Main geboren und lebt heute in der Zentralschweiz. Das Fotografieren hat er sich während des Studiums autodidaktisch beigebracht. Seine wundervollen Naturaufnahmen zeigt er an öffentlichen Vorträgen oder auch an Schulen. Daneben ist er selber aktiv im Regenwaldschutz tätig und unterstützt seit über 30 Jahren die deutsche gemeinnützige Organisation Tropica Verde, die hauptsächlich in Costa Rica tätig ist.